Liebe Frau Böhm, bald kommt die erste Ausgabe von "Leni und Lorenz" heraus - eine Mutmachgeschichte über Leni und ihren großen Bruder Lorenz, der Rolando-Epilepsie entwickelt. Sie haben das Buch geschrieben. Wie kam es denn dazu?
Die Geschichte von Leni und Lorenz basiert mehr oder weniger auf unserer eigenen Geschichte, unseren eigenen Erfahrungen. Unser Sohn hat die Diagnose Rolando-Epilepsie Anfang 2021 bekommen. Mit 4 Jahren. Und mein Sohn lässt sich unglaublich gerne vorlesen. Ich bin Germanistin und ich lese sehr viel mit den Kindern. Ich habe auch sofort angefangen zu schauen, welche Kinderbücher es dazu gibt. Wir haben uns mit dem Thema beschäftigt. Ich habe auch über den Elternverband die Broschüre „Toto & Rolando“ bestellt. Da wird alles gezeichnet als Comic beschrieben. Es ist aber kein klassisches Vorlesebuch.
Dann haben wir weitergesucht und auch einige Bücher zum Thema Epilepsie gefunden und die haben wir auch alle bestellt und vorgelesen. Das war auch ein ganz wunderbarer Zugang zum Thema. Allerdings geht es in diesen Büchern fast durchgehend um generalisierte Epilepsien, egal ob mit großen Anfällen oder mit Absencen. Eines Tages kam dann mein Sohn und meinte, „Mama, die haben alle diese Hinfall-Epilepsie. Die hab ich doch gar nicht. Wo ist meine?“
Da hatte er natürlich recht. Er hat ja Rolando-Epilepsie. Ich habe dann weitergesucht und festgestellt, da gibt es nichts. Anfang 2022 habe ich mich dann eines Tages wieder darüber geärgert und da meinte ein Freund zu mir, „Du bist doch Germanistin. Schreibt doch selber eins.“ Und dann war die Idee geboren, EIN Buch zu schreiben. Für meinen Sohn. Selber ausdrucken und fertig.
Die Käthe Leipold ist eine sehr langjährige Freundin. Ich wusste auch, dass sie Kinderbuchillustratorin geworden ist. Ich habe sie also angerufen und gefragt, ob sie mir 2-3 Bilder malt. Ich schreibe dann die Geschichte. Und irgendwie sind aus diesen 3 Bildern dann 13 Illustrationen geworden und aus dem einen Buch eine Erstauflage von 500 Exemplaren. Das hat dann Fahrt aufgenommen. Immer mehr Menschen haben Interesse bekundet. Auch unser Neuropädiater hat uns da bestärkt, dass es viele Kinder gibt, für die ein solches Buch interessant ist. Es ist natürlich nach wie vor ein Buch für meinen Sohn und seine Geschwister, aber eben auch für alle anderen Kinder.
Das hatte ich mich auch gefragt. Wie viel ist in dem Buch Fiktion und wie viel basiert auf ihrer Familie? Wie persönlich ist das Buch also für Sie?
Es ist tatsächlich so, dass in dem Buch mehr Realität steckt, als man so denkt. Meine Kinder heißen nicht Leni und Lorenz, aber sie sehen so aus wie sie. Das wollten meine Kinder so. Ich habe das mit ihnen besprochen und sie gefragt, ob sie vielleicht ganz anders aussehen sollen. Mit roten Locken oder so. „Nein“, hat da mein Sohn gesagt, „ich möchte, dass die so aussehen wie wir.“ Es gibt auch eine Illustration im Buch, die zeigt Lorenz von hinten am Tropf, im Krankenhaus, wie er am Fenster steht. Mit der Mama und der Schwester von weitem. Das ist tatsächlich von einem Foto abgemalt, das es von meinem Sohn gibt. Als er im Krankenhaus war. Oder auch die Kinderzimmereinrichtung. Das ist alles an unsere eigene Wohnung angelehnt. Nur beim Kindergarten hat ein Sohn gesagt, er möchte nicht, dass der so aussieht wie unserer. Die hatten da ganz viel Mitsprachrecht. Durften da viel mitentscheiden im Prozess. Es ist auch wirklich sehr viel Reales mit dabei. Auch inhaltlich haben sie das mitentwickelt und wir haben ganz viel Probegelesen. Bei Fragen haben wir angepasst.
Ich finde das ja erstaunlich. Obwohl die Entwicklung so ein Prozess ist, ging es ja eigentlich ganz schnell. Sie hatten die Idee Anfang des Jahres und nun ist das Buch schon im Druck. Hatten Sie schon alles fertig im Kopf?
Ja, in der Tat ging es dann wirklich schnell. Ich hatte im März Corona und seit ich Mama geworden bin, waren das die ersten drei Tage, die ich am Stück im Bett gelegen bin. Also seit 6 Jahren. Und tatsächlich habe ich es in diesen drei Tagen geschrieben. Vorher war es nur in meinem Kopf.
Das klingt nach einer produktiven Corona-Auszeit. Und nun ist das Buch ja auch Realität geworden, auch durch Unterstützung der Stiftung Michael und Ihrer Crowdfunding-Kampagne, die vor kurzem lief - mit großem Erfolg. Es hat uns sehr gefreut, zu sehen, dass sich so viele Menschen für ein Kinderbuch über Rolando-Epilepsie interessieren. Aber diese Form ist auch gar nicht so selten, wie viele Menschen denken. Sie kriegen das ja wahrscheinlich hautnah mit, wenn Sie über die Erkrankung Ihres Sohnes sprechen. Wie reagiert Ihr Gegenüber da in der Regel?
Genau. Es ist oft die Meinung vertreten, dass es bestimmt eine ganz seltene, unbekannte Epilepsieform ist, weil man ja jetzt nicht klassischerweise die großen Anfälle hat. Dabei ist es die häufigste Epilepsieform im Kindesalter. Was mir bis zur Diagnose auch nicht klar war. Wir hatten vorher auch noch nichts davon gehört. Deswegen fand ich es aber auch so wichtig, darüber zu schreiben, weil viele Kinder auch den Gedanken haben, dass sie etwas „Komisches“ haben. Also nicht nur die Diagnose Epilepsie, sondern dann auch noch eine Form der Epilepsie, die keiner kennt. Und dadurch, dass die Anfälle oft nur so unscheinbar sind und nicht so große Aufmerksamkeit nach sich ziehen, ist es ja auch verständlich, dass es nicht so in das Bewusstsein der Leute rückt. Für mich ist es daher ganz wichtig, dass man jetzt auch durch das Buch oder durch bekannte Künstler und Künstlerlinnen, die offen damit umgehen, Zeichen setzt. Das gibt es. Und wir schaffen jetzt ein Bewusstsein.
Das ist auch ein Schutz. Diese Sichtbarkeit bringt auch Schutz. Denn mein Sohn schämt sich dafür. Wenn die das im Kindegarten mitkriegen, Mama, das ist doch komisch. Als Mama hat man das ein ungutes Gefühl. Man denkt, wenn er etwas hätte, das viele Leute kennen, wie Asthma oder so, könnten sie das auch besser einordnen. Dann wäre es nicht so beängstigend. Da möchten wir hinkommen.
Also er selbst spricht nicht gerne darüber. Das geht schon ein wenig in die Frage über, wie man nach der Diagnose damit umgeht. Also erst einmal muss man das wahrscheinlich selber verdauen und dann fängt man an, zumindest die wichtigsten Bezugspersonen zu informieren, oder?
Ja, definitiv. Das muss ja auch im Falle eines Anfalls. Ich muss und möchte das jedem sagen. Damit auch jeder wirklich achtsam mit meinem Sohn umgeht. Dadurch kommt man natürlich ins Gespräch und die Leute lernen, dass es so etwas überhaupt gibt. Das finde ich auch sehr wichtig.
Es fällt aber auch auf, dass es viel Unwissenheit in Bezug auf Epilepsie gibt. Und Blockade. Die erste Reaktion vom Kindergarten war tatsächlich, meinen Sohn von der Betreuung auszuschließen, wegen Ängsten bezüglich der Notfallmedikation. Wir haben gesagt, er hat Epilepsie. Wir können nicht wissen, ob er mal ein Notfallmedikament braucht, deshalb geben wir eines an Euch, den Kindergarten. Da hieß es gleich, mein Sohn kann nicht betreut werden, bis der Kinderarzt vorbeikommt und den Betreuern zeigt, wie ein solches Medikament zu verabreichen ist. Mitten in der Pandemie hat unsere Ärztin das natürlich abgelehnt.
Von daher muss man auf die Leute zugehen, aber man muss sich auch darauf einstellen, dass teilweise übel reagiert wird. Oder man vor den Kopf gestoßen wird, als Eltern. Plötzlich darf mein Kind nicht mehr in den Kindergarten ….